LIBYEN – SÜDOST – EXPEDITION

Nach 20-stündiger, angenehmer Fahrt übers Mittelmeer sind wir alle bestens gelaunt in Tunis angekommen. Die Zollformalitäten waren schnell erledigt und das Abenteuer Afrika kann nun beginnen. Nach drei Tagen auf der Teerstraße, über Gabès und Tripolis sind wir nach Zilla gelangt. Hier endet für uns die Teerstraße und die Weite der Sahara öffnet sich für uns. Unser nächstes Ziel ist Tazurbo, das wir auf der weiten Reg- und Sandebene auch problemlos erreichen. Wir hoffen, hier Treibstoff zu bekommen, da es in Rebianah immer etwas kritisch ist mit der Dieselversorgung. Doch wir werden nicht fündig – die Tankstelle ist trocken und auf dem Schwarzmarkt wollen wir uns nicht eindecken. Das können wir in Rebianah immer noch tun, falls es dort auch kein Diesel gibt. Also, raus aus Tazurbo, bevor uns die Behörden entdecken und wir wieder aufgehalten werden mit unnötigem Papierkram.

Wir fahren weiter auf einer riesigen Sandebene südöstlich Richtung Rebianah Sand Sea, wie dieses riesige Sandmeer genannt wird. Wir wollen die mitten in diesem Dünenmeer gelegene, verlassene Oase Bazimah besuchen. Sie liegt am Rande eines früher sehr großen Salzsees, der auch heute noch Wasser führt, allerdings nicht mehr in diesem Ausmaß. Eigentlich ist es schon eine Salzlake der Farbe rosa, weiß und etwas blau-schimmrig, dort wo es tiefer ist. Gebilde aus Salz, ähnlich unserer Eiszapfen, hängen am den See umgebenden Schilfgürtel. Ein hohes, steil auf-ragendes Gebirge, das von Weitem schon zu sehen ist und als Wegweiser nach Bazimah dient, begrenzt den Salzsee auf der östlichen Seite. Verlassene Lehm- und auch Steingebäude, ein fast gänzlich verbrannter Palmenhain und verwilderte Gärten sind als Rest der ehemals bewohnten Oase zurückgeblieben. Ein kleiner Erkundungsgang folgt. Um unser nächstes Ziel anzufahren nehmen wir unsere GPS-Geräte zu Hilfe, die uns das Navigieren in den Dünen, im Gegensatz zu früher mit dem Kompass, enorm erleichtern. Das Ziel ist die ebenfalls an einem ehemaligen Salzsee gelegene Oase Rebianah. Ein wunderbares Auf und Ab in den herrlichen Dünen bringt uns unglaublichen Fahrspaß.

Doch für Peter ist der Spaß gleich zu Ende. Übermut hat ihn gepackt, er ist zu schnell die Düne heruntergefahren und am Boden mit der Schnauze aufgeschlagen. Der Kühler ist kaputt! Der Windflügel hat ein großes Loch eingefräst, das Wasser läuft in den Sand. Ein Ersatzkühler liegt im Regal bei seinem Toyota-Händler in Hamburg, ja super! Wir brauchen ihn aber hier. Jetzt ist „Buschmechanik“ angesagt. Ich hole meine Notfallkiste aus dem Auto, während Peter den Kühler ausbaut, und krame die Faserspachtel-Dose heraus. Fast der ganze Inhalt geht drauf, aber das Loch ist geflickt! Nach einer Stunde und weiteren 80 Kilometer Dünenfahrspaß erreichen wir die Oase und fahren gleich zum Haus unseres Freundes Salem, der schon auf uns wartet. Wir haben unsere vorher angekündigte Ankunft nur um einen halben Tag verfehlt. Das ist aber kein Problem, denn die Zeit spielt hier keine große Rolle. Es hat sich seit unserem letzten Besuch hier auch nichts verändert, außer, dass es jetzt im Oktober viel heißer ist, als wir das letzte Mal hier waren .

Nach großem Hallo und Erkundigungen, wie es denn der Familie und den anderen Freunden geht, will ich gleich wissen, ob unser Spritlager, das wir im Februar angelegt haben, auch aufgefüllt worden ist. Denn Diesel ist für uns jetzt das große Thema. Von Rebianah zum Djebel Uwaynat, weiter nach Norden durch die Great Sand Sea und weiter nach Jaghbub haben wir eine Strecke ausgekundschaftet, bei der wir über 1600 Kilometer überbrücken müssen, ohne unterwegs irgendwo Treibstoff oder Wasser finden zu können. Der Sprit ist da, wir können aufatmen. Unser Freund hat, als der Tanklaster mal hier war, um die Tankstelle zu versorgen, sofort einen Großeinkauf getätigt, bevor die kostbare Flüssigkeit wieder ausverkauft war. Unserer eigentlichen Expedition steht nun nichts mehr im Weg. Wir wollen wieder ins Dreiländereck Ägypten-Sudan-Libyen – und der Weg dorthin ist weit. Nachdem am nächsten Morgen unsere Tanks aufgefüllt und die Wasservorräte ergänzt sind, wir auch dem Militär unser Vorhaben bekanntgegeben haben, geht’s los Richtung Südosten. Erst einmal müssen wir weiter durch den Erg, was uns aber keine Schwierigkeiten macht, da wir nur noch einige Dünenüberquerungen meistern müssen. Wir erreichen die Bergketten, die den Erg Rebianah im Süden begrenzen. Wir erklimmen einen Gipfel und haben einen sagenhaften Ausblick auf das unter uns liegende Dünenmeer. Wir schlängeln uns durch die Berge und kommen bald auf eine große Sandebene. Schon von Weitem sehen wir die Berge von Bisciara, die uns als Anhaltspunkt dienen. Der gleichnamige Brunnen ist erst kurz vor seinem Erreichen sichtbar. Er führt immer noch Wasser, das aber erst in mehr als 38 Metern Tiefe zu erreichen ist. Gut, wer da auch ein genügend langes Seil dabei hat! Dieser Brunnen liegt an einer uralten Karawanenroute von Kufra nach Aozou im Tschad, die aber schon lange nicht mehr benutzt wird. Von hier aus geht es nun ostwärts durch sehr weiche Sandebenen, bei denen sich unsere Fahrzeuge sehr mühen müssen, was sich in einem enormen Spritverbrauch ausdrückt. Wir machen Rast an einem Berghang mit festem Boden und lassen unsere Motoren erst mal ausruhen. Ein Fahrzeug fehlt, ich fahre zurück und sehe schon von Weitem Peter, der eine Reifenpanne hat. Er wollte uns über Funk Bescheid geben, aber in der Aufregung hat er es vergessen. Schnell ist das Rad gewechselt und wir fahren zu den anderen. Es ist überwältigend in dieser unglaublich weiten Landschaft zu stehen und diesen Weitblick zu genießen. Nach der Bergkette können wir auf einer weiten Ebene nach Süden abbiegen, wir kommen schnell voran und erreichen einen Krater auf ebener Fläche, den wir immer wieder gerne als Nachtlager anfahren. Wir füllen unsere Tanks mit den mitgeführten Kanistern, denn die Fahrt im tiefen Sand hat uns viel Sprit gekostet. Abends am Lagerfeuer sitzen wir alle zusammen und tauschen unsere Erlebnisse des Tages aus. Ich erzähle von früheren Reisen in diesem Gebiet und was uns am nächsten Tag erwartet. Ein steiler, sandiger Pass macht Uwe Probleme, doch mit abermals herabgesenktem Luftdruck schafft er es dann doch. Nun habe ich eine Panne. Die großen, scharfkantigen Steine, die wir leider nicht umfahren können, zerschlitzen einen Reifen. Übrigens nicht der letzte auf unserer Reise, es sollten noch mehrere werden. Nachdem wir den Pass überquert haben, fahren wir in eine große Senke, die früher einmal einen See beherbergt hat. Tatsächlich finden wir an dessen „Ufern“ Reste einer vergangenen Epoche. Reibschalen, Läufersteine, Pfeilspitzen und anderes Steinwerkzeug. Es ist immer wieder erhebend, an solchen Orten zu stehen, wo vor ca. 12.000 Jahren Menschen gelebt haben. Warum sie hier ihre Werkzeuge und auch manchmal ihren Schmuck zurückgelassen haben, ist auch Wissenschaftlern nicht genau bekannt. Auf jeden Fall freuen wir uns immer wieder, wenn wir solche Plätze finden. Nun sehen wir schon den mächtigen Djebel Arkenou, schwarz und weit vor uns liegend, eine perfekte Navigationshilfe. Er ist laut GPS noch 90 Kilometer entfernt, doch sehr klar und gut zu erkennen, sodass man glauben könnte, er sei nicht weiter als 10 Kilometer entfernt. Durch die klare und saubere Luft ist der Weitblick manchmal unglaublich. Es ist ein gigantischer Anblick!

Wir haben noch einige Dünenketten zu überqueren, bis wir unser Etappenziel, den Djebel Uwaynat erblicken. Beinahe drohend ragen die Felsspitzen in den Himmel, vielleicht um uns zu sagen, dass sie stärker sind als wir – womit sie auch recht haben. Doch das Gebirge verschwindet langsam in einem Sanddunst. Die Hitze wird drückend, ein Sandsturm kündigt sich an. Eine erschreckende Stille lastet über der Wüste. Plötzlich sehen wir in der Ferne eine dichte, rote, sich auf uns zubewegende Walze aus Sand, hinter der die Sonnenscheibe nur noch als milchiges, rundes Gebilde zu sehen ist. Wir müssen jetzt Schutz suchen. Zum Glück sind wir schon in der Nähe des Gebirges und finden auch bald eine Höhle, in die wir uns verkriechen können. Die Autos können wir ebenfalls zwischen den Felsen gut vor dem Sandsturm schützen. Gerade noch rechtzeitig, denn schon braust es los. Die ganze Nacht verbringen wir in der Höhle. Erst gegen Sonnenaufgang legt sich der Sturm. Die Übermüdung nach dieser schlaflosen Nacht ist uns allen anzusehen. Der Sandsturm und die mit Elektrizität geladene Luft haben unsere Nerven arg strapaziert. Hier in den Tälern des Djebel Uwaynat machen wir einen Tag Ruhepause um uns zu erholen. Wir erkunden die Gegend zu Fuß und wandern durch die wunderschönen Täler. Zahlreiche Felszeichnungen aus der Jungsteinzeit sind hier zu finden.

Ich bleibe im Lager und checke die Fahrzeuge. Reifen flicken, einen Stoßdämpfer auswechseln und allgemeine Wartungsarbeiten bestimmen meinen „Ruhetag“. Am abendlichen Lagerfeuer sitzen wir wieder alle zusammen und genießen das Ende des Tages. Am nächsten Tag folgen wir dem breiten und mit zahllosen Akazien bestandenen Tal des Karkour Idriss, das uns aus dem Gebirge ins Freie leitet. Die Dünen von Arkenou sind zu überqueren, dann halten wir genau nach Norden an der ägyptischen Grenze entlang. Die Landschaft ist atemberaubend: schwarzrote Berge, hellgelber Sand, strahlend blauer Himmel, einfach super! Ein Gebirge, das sich von West nach Ost bis nach Ägypten hinein zieht, versperrt uns den Weg. Vor vielen Jahren auf meiner Pilottour durch dieses Gebiet habe ich nach langem Suchen einen Durchgang gefunden. Diesen werden wir wieder benutzen. Es beginnt eine wahre Trialfahrt durch unwegsames Gebirge. Wir überqueren einen Pass und sehen ein unter uns liegendes Flusstal. Der Weg nach unten gleicht einem Wasserfall – nur ohne Wasser. Ich lasse alle Fahrer zu Fuß hinuntergehen, damit sie sich die Strecke erst einmal ansehen. Dann geleite ich jedes Fahrzeug nach unten. Untersetzung, erster Gang und weg von Gas und Bremse, so klettern wir alle nach unten. Im Flusstal angekommen, erwarten uns weitere in das Tal eingefallene Felsbrocken und Geröll, die es geschickt zu umfahren gilt. Nach schier unzähligen Kilometern lässt uns das Tal wieder frei. Alle haben die mühsame Etappe problemlos überstanden.

Durch wild zerklüftete Sandsteinfelsen suchen wir uns einen Weg nach Norden, der Great Sand Sea entgegen. Wir erleben hier eine Landschaft, die uns alle ins Staunen bringt. Uns bleibt der Atem weg, wir können nur wortlos dastehen und die Großartigkeit der Natur erleben. Hier in dieser Gegend habe ich vor Monaten ein Treibstoffdepot für Notfälle eingerichtet. Wir haben zwar alle noch genügend Sprit, doch möchte ich trotzdem dort vorbeischauen um zu sehen, ob alles in Ordnung ist. Das Lager ist unberührt, es sind keine frischen Autospuren oder sonstige Hinweise auf Besucher zu sehen. Na gut, dann bis zum nächsten Mal. Jetzt wollen wir, bevor wir die Great Sand Sea erreichen, einen Fuß auf ägyptisches Gebiet setzen. Eine kaum zu erkennende Eisenstange auf einem Hügel und eine kleine aufgestellte Felsplatte markieren die Grenze. Wir können uns zwar nicht vorstellen in dieser Gegend einer Grenzpatrouille zu begegnen, denn hier gibt es nichts zu überwachen, aber wir wollen nicht zu illegalen Einwanderern werden und setzen tatsächlich nur einen Fuß nach Ägypten. Endlich ist es soweit! Die Dünen der Great Sand Sea sind in der Ferne als gelbes Band zu erkennen. Wir können auf der kiesigen Ebene mühelos eine hohe Geschwindigkeit fahren. Plötzlich ein Funkruf. Frankie mit seinem Land Rover steht. Ziemlich schräg sieht sie aus, die Hinterachse, was ich beim Annähern bemerke. Fast hätte er sich überschlagen, sagen die anderen. Doch seinem Geschick ist es zu verdanken, dass er sein Fahrzeug im Griff hatte. Der Längslenker ist abgebrochen, die Kardanwelle auch und die 2 Stoßdämpfer waren krumm. An ein Weiterfahren war nicht zu denken.

Wir suchen nach einer eine Lösung. Ich habe mein „Schweißgerät“ dabei! Mit Zuhilfenahme eines Rohrs konnte der Längslenker wieder zusammengeschweißt werden. Die Kardanwelle und die Stoßdämpfer wurden entfernt, mit Spanngurten die Achse wieder in ihre Stellung gebracht, der Längslenker wieder eingebaut und schon war das Fahrzeug wieder fahrfähig. Zwar nur mit Vorderradantrieb, aber es fuhr wieder, weiter ging die Reise. Frankie kann leider nicht mehr weiter mitmachen. Wir begleiten ihn bis zur über 200 Kilometer entfernten Teerstraße und verabschieden uns. Wir sind traurig, denn wir hatten sehr viel Spaß mit Frankie. Wir fuhren zurück zur Unglücksstelle und setzten unsere Reise fort. Nun hatten wir aber fast 500 Kilometer mehr auf der Uhr als wir für unsere gesamte Strecke kalkuliert haben. Ich habe da aber noch ein Geheimnis! Nicht weit von der Unglücksstelle entfernt habe ich früher ein weiteres Depot von 400 Liter Diesel angelegt! Wir leeren die Fässer und können beruhigt weiterfahren. Die gut zu befahrende Regebene führt uns schnell an den Dünenrand. So lange es geht, befahren wir ein Dünental problemlos. Dann geht es aber hinein in schwieriges Dünengelände. Wir lassen etwas Luft aus den Reifen und dann kann’s losgehen. An der ersten Düne haben einige von uns schon Schwierigkeiten. Es wird nochmals Luft abgelassen, dann geht es ohne Probleme. Ein wundervolles, genussreiches Dünensurfen beginnt. Manchmal unterbrochen von Einsandungen, die aber schnell wieder gemeistert sind. Unterwegs in den Dünen besuchen wir ein abgestürztes Flugzeug, das seit dem 2. Weltkrieg hier liegt. Die Außenhaut ist fast gänzlich abgewittert, aber das Gerippe ist noch vollständig erhalten. Wir inspizieren das Wrack genau. Es handelt sich um ein italienisches Jagdflugzeug, das hier sein Ende gefunden hat.

Die Dünen werden flacher, es ragen weiße Kalksteingebilde auf, die von einem ehemaligen Meer zeugen. Die bizarren Felsen laden zu einer ausgiebigen Fotopause ein. Nun müssen wir noch, am Rande der Sand Sea eine hohe Muschelbank erklimmen, dann liegen die Dünen hinter uns und ein traumhafter Blick auf einen palmenbestandenen Strand eines großen Sees tut sich auf. Dieser See ist der Rest eines millionenalten Ur-Meeres. In den Muschelbänken ringsum finden wir zahllose versteinerte Seeigel und Muscheln aller Art. Unser Lager am See, das wir unbedingt hier aufschlagen wollen, ist wegen der Myriaden von Moskitos etwas unangenehm, aber der Blick auf den See mit den Dünen und Muschelbänken ist grandios. Wir sind nun auf der Piste, die von der ägyptischen Oase Siwa kommt, folgen dieser nach Norden und sind kurz darauf in Jaghbub, wo wir unsere Treibstoff- und Wasservorräte wieder füllen und hier auch etwas frisches Gemüse und Obst auf dem Markt kaufen. Die Teerstraße, die für uns hier wieder beginnt, bringt uns am Mittelmeer entlang nach Tunis zurück. Eine traumhafte Reise ohne große Probleme ist zu Ende. Auch Frankie treffen wir hier in Tunis im Hotel wieder, er hat auf uns gewartet. Lange werden wir uns an diese Reise erinnern. Die Sahara hat uns gefangen genommen und wir werden wiederkehren.

Text und Fotos: Helmut Arzmüller